Gavin Tremlett – Practice

05. November – 17. Dezember 2011 

 

Mangelnden Wagemut kann man Gavin Tremlett nicht vorwerfen. Seine Portraits sind mit einer Beklemmung und einem peinlich berührten Humor aufgeladen, der eine Maske aufsetzt, um die sexuelle Spannung zu überdecken. Der vierunddreißigjährige Künstler fordert beim Betrachter starke Reaktionen heraus, die von Unbehagen und Verwirrung bis hin zu dem Gefühl reichen, Teil eines voyeuristischen Geheimnisses zu sein. Gelegentlich rufen die Arbeiten auch Schrecken oder Ekel hervor, wobei die Schönheit von Tremletts Arbeiten sowie seine Fähigkeit, den Betrachter mithilfe von Farbe und Zeichenstift zu verführen, auf den ersten Blick darüber hinwegtäuschen.

 

Zu den Themen von Tremletts Malerei gehören Erotik, Sexualität, und Grenzübertretungen. Sie hinterfragt Schönheitsideale und Identitätspolitiken. Obgleich eindeutig Teil einer langen kunsthistorischen Tradition der figürlichen Malerei, sind Tremletts Portraits außergewöhnlich, weil sie sich gleichzeitig mit dem Diskurs über Abstraktion auseinandersetzen. Farbe und Form haben symbolischen Wert und Gewicht und tragen gleichzeitig zu einer narrativen Struktur bei. „Zwischen den Welten“ also – da befinden sich Tremletts Bilder–, demonstrieren sie, dass der Künstler über das Bekannte hinausblicken will, an einen Ort außerhalb des Bewusstseins. Der Künstler schwankt absichtlich zwischen dem Erhabenen und dem Pornografischen und schafft somit ein Spannungsfeld zwischen der bildlichen Erscheinung und dem Bildgegenstand als Objekt oder Zeichen. Signifikation wird der Macht des Blicks und den schaulustigen Wünschen sowohl des Betrachters als auch des Künstlers gegenübergestellt, bei einem Fest für die Augen „anzulangen“.

 

Doch die unbequeme Positionierung von Tremletts Figuren, die Behandlung ihrer Formen und der bewusste Einsatz übertriebener Farben machen eine einfache oder eindeutige Interpretation der Arbeiten unmöglich. Dieses Werk ist komplex und zeitweise schwierig zu begreifen. Der Künstler selbst formuliert es so: „Positioniert zwischen der bereitwilligen Annahme der Vulgarität in der zeitgenössischen Kultur und einer Sehnsucht nach einer verlorenen Art der Figuration in der Malerei, markiert meine Arbeit eine Schnittstelle zwischen den erhabenen Möglichkeiten der Malerei und dem in sich geschlossenen kruden Wesen der Pornografie.“

 

Die britische Kunstkritikerin und Kuratorin Jane Neal schreibt: „Es ist diese Spannung zwischen dem traditionellen Medium, mit dem mit erheblichem Können sowie mit Sensibilität und großem Gespür umgegangen wird, gekreuzt mit dem reißerischen Wesen der zeitgenössischen Quellen, die Tremlett nach Material durchforstet, die zu einem Konflikt führt. Dieser Konflikt pulsiert im Werk selbst und geht dann aber ebenso auf den Betrachter über. Das Medium sowie die Ausführung der Arbeit fordern ein, dass man sie betrachtet. Die Art der Farben und Stifte und die Raffinesse, mit der diese eingesetzt werden, sind extrem verführerisch, aber die Posen der Portraitierten machen es uns als Betrachter nicht leicht. Man hat das Gefühl, dass, was hier ausgestellt ist, nur für intime Auseinandersetzungen und Begegnungen gedacht ist, aber die nonchalanten, ja provokativen Posen offenbaren Protagonisten, denen das Unbehagen des Betrachters egal ist und die ihre Sexualität scheinbar in einer offenen beziehungsweise geradezu unverhohlenen Art und Weise zur Schau stellen.“ (Jane Neal in „Gavin Tremlett: Caught up in the Carnival“, 2003)

 

Gavin Tremlett hat an der Loughborough University School of Art & Design Kunst studiert und seine Studien 2004 mit dem Master in Fine Art an den Royal Academy Schools in London abgeschlossen. Er lebt und arbeitet in Berlin.